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Leibniz Magazin – 25. 08. 2020

Von Doreen Reinhard


Neustadt – In Dresden erprobt ein Projekt, wie urbanes Leben nachhaltig gestaltet werden kann. Hilft es auch, die Menschen der Stadt zu versöhnen?

Foto von Lena Giovanazzi

Wie bewegt man Menschen dazu, etwas Neues auszuprobieren? Türen sind dabei hinderlich, hat Stefanie Nünchert festgestellt. Wer in unbekanntes Terrain eintreten soll, zögert vielleicht. Es ist besser, wenn man draußen unterwegs ist, so kommt man schneller in Kontakt, sagt sie. Die Idee gibt
es schon länger. Nun, während der Corona-Pandemie, erweist sich das Kochen unter freiem Himmel außerdem als praktisch, um das Infektionsrisiko zu senken. An diesem Sonntagnachmittag im Juli haben Nünchert und ihre Kollegen ihr Tonnen-Restaurant direkt auf der Oschatzer Straße in Dresden-Pieschen aufgebaut. Das Restaurant-Logo ist eine
gezeichnete Mülltonne, denn die Zutaten sind Reste, die eigentlich für den Abfall bestimmt waren. Auf dem Fußweg warten hübsch gedeckte Tische. Daneben steht Tonnja, eine Küche, die auf ein Fahrrad montiert ist. Das Angebot ist üppig. Es gibt Erdbeermilch und Waffeln, Orangen-Fenchel Salat, Gemüsesuppe und würzige Brotaufstriche. Alles vegan und aus Second-Hand-Lebensmitteln zubereitet. Statt Bezahlung wird um Spenden gebeten.
Die Tische sind an diesem Nachmittag schnell besetzt. Einige kennen das Tonnen-Mobil schon länger und sind extra vorbeigekommen, um mal wieder vom Team bekocht zu werden. Andere Gäste wohnen im Viertel, ihnen ist das Gewusel auf der Straße aufgefallen. Sie sind neugierig, was
hier passiert. Zwei 13-jährige Jungen stellen sich für Nachschlag an. Von ihnen hört man den überraschenden Satz: Wir lieben Gemüse!

Dass die Speisen vegan sind, schreibt Stefanie Nünchert nicht extra ans Buffett. Die Gäste sollen kosten und selbst herausfinden, auch über den Hintergrund der Küche. Die meisten Zutaten stammen von der Dresdner Tafel, dort werden überschüssige Waren von Supermärkten gesammelt
und verteilt. Flyer auf den Tischen klären auf. Resteessen soll das sein? Darüber staunen etliche Besucher. Wenn man selbst übrig gebliebene Lebensmittel im Kühlschrank hat, sieht es beim Kochen nie so appetitlich aus, sagt eine ältere Frau. Sie plauscht mit einem Mann an ihrem Tisch.
Beide wohnen in der Nachbarschaft, aber kennen sich eigentlich nicht. Er hat gefragt, ob er sich zu ihr setzen kann. Wenn man zuhause allein isst, schmeckt es nicht so gut, sagt er. Das Angebot des Tonnen-Mobils soll ein kulinarisches Highlight sein. Außerdem ist es ein Vehikel, um Themen in
den Fokus zu rücken. Zum festen Restaurant-Team gehören Stefanie Nünchert und zwei Mitarbeiterinnen, außerdem einige Helfer. Sie retten Lebensmittel vor dem Müll und machen so auf deren Verschwendung aufmerksam machen. Außerdem wollen wir Essen als gemeinsames Ritual
stärken, sagt Stefanie Nünchert. Die 36-Jährige hat früher in anderen Bereichen gearbeitet, als Betriebswirtin und Schneiderin. Auch leidenschaftliche Köchin ist sie schon lange. Sie begann zunächst, privat Lebensmittel beim Containern zu retten und Rezepte auszuprobieren.
Nachhaltigkeit, ein achtsamer Umgang mit der Natur, ist ihr wichtig. Irgendwann entstand die Idee, nicht nur allein etwas zu tun, sondern das Ganze größer anzugehen und ein Restaurant zu eröffnen. Unterstützung hat Stefanie Nünchert bei der Zukunftsstadt gefunden, wo sie ihr Projekt einreichte und es unter vielen Bewerbungen ausgewählt wurde. Tonnja ist praktische Nachbarschaftsarbeit. Und ein Baustein einer Dresdner Initiative, in der das urbane Zusammenleben von morgen erprobt und erforscht wird.

Auszug….